Vorwort

Vom Sein des Scheins im Augenblick

So viele Gedichte geschrieben; zahllose Abzweigungen, Übungen …, jetzt kann ich mühelos darauf gehen, relativieren und differenzieren, bis der Inhalt zu spielen beginnt, bejaht und erfüllt.

So durchschreitet Kunst jede Form, leuchtet jeden Raum aus und findet nichts außer sich selbst; Eins, nicht Zwei; Eins und SELBST. Was nicht SELBST ist (das ICH BIN) führt (als Schein-Identität) nicht zum Ziel. Der Verstand, der sich überall und ständig einmischt, erkennt sich jetzt selbst. Die Nebel-Wand ist durchtrennt. Die Fehler, die dabei gemacht werden, treten aus der Zeit heraus und wiederholen sich nicht mehr. Die Sprache, ihre Worte und Inhalte, die noch eine Weile nachklingen als Rhythmus, als Körpergesang, finden ihre Bestimmung in der reinsten Ausprägung des Spiels, in einer sinnerlösten Form, die über das Verstehen hinaus geht.

Gedichte kommen zu mir, sie passen zu mir, einem Wanderer neben der Zeit (des Zeitgeistes), verdichtete Rhythmen, ein Spiel, das ins Freie und Offene will wie ich selbst. Das Gedicht fragt nicht, es bewertet nicht, es ist – ohne Rest. Es ist der Versuch des Eins-Seins, des Ganz-Seins, Konzentration des Annehmens und Bejahens. Ich spiele meine Begrenztheit, meine Fähigkeit und Unfähigkeit hinein ins Sein, das ich bin. Ich übe mich im Nichts …, der Erde zugewandt, ihrem Leib, aus dem ich komme … und der himmlisch ist.

Realitäten, die scheinen, zu leugnen, ergibt keinen Sinn. So erscheint mir die weiteste Entfernung von der Realität im Dasein, ohne da zu sein. Das geht real nicht, sagst du, und ist doch, meine ich, eine mögliche Beschreibung meiner Existenz. Das Herz schlägt weit entfernt, ohne Negation. Existieren heißt dabei nicht: losgelöst von Realität, sondern: in Distanz zur Realität. Es gilt, eine Fähigkeit zu erlangen, die die Entfernung genau und individuell bestimmt. Der Schritt wird raumgreifend und sicher, ohne Nihilismus zum Ganzen. Da-Sein im Erkennen des Scheins schafft eine Distanz zur Welt, die es möglich macht, sich der zerstörerischen Maßlosigkeit der Natur „Erde“ gegenüber bejahend zu stellen. Die physikalischen Kräfte weltweiter Naturerscheinungen (mit nicht kalkulierbaren chemischen Prozessen) als Reaktion auf diese „Unvernunft“ sind nicht zu übersehen.

„Weniger ist mehr“, eine Volksweisheit: Kaum zu glauben, geschieht doch genau das Gegenteil in allen Bereichen und allen Schichten. Viel soll es sein, immer mehr und noch mehr, Wachstum um jeden Preis – um den Preis des Untergangs?! Nur eine bewusste Lebensführung und –gestaltung kann den Menschen zu seiner ihm innewohnenden Natur zurückbringen und die Fülle der Natur erlebbar machen. In diesem Sinne gilt auch Joseph Beuys’ Aussage: Jeder Mensch ist ein Künstler. Der menschliche Geist trägt diese Fähigkeit in sich. Ohne Selbstreflexion und bewusste Einlassung auf sich selbst, kann der Mensch weder Künstler sein, noch sein Werk Kunst.

Verbunden mit dem Augenblick, der schon alles ist, was ist, erinnere ich mich an das Kind, das nicht fragt, weil es keine Fragen gibt; so ist es jetzt wieder, anders, bewusst, wissend, dass das, was nicht in der Sprache liegt, nicht zu denken ist. Das früh-kindliche Urprinzip, das noch vorgedanklich ist und damit nicht der Bewertung unterliegt, ganz im Jetzt, im reinsten Ausdruck ist, war niemals weg. Dieses Jetzt bewusst zu gestalten, macht den Weg frei, den menschlichen Geist (von der Evolution vorgegeben) in ein Licht der Selbstwahrnehmung zu versetzen, sich damit wieder als die Natur selbst zu begreifen und sich, aus sich selbst heraus, in Kooperation zu allem, was ist (nämlich Natur) zu verhalten.

Je tiefer die Hinwendung zum Augenblick, je weniger Fragen stellen sich, bis gar nicht mehr; der Raum wird leer: kein Wissen, kein Glauben, nichts – nur noch das Jetzt, aus dem alles entsteht und vergeht („die ewige Wiederkehr“), jetzt und still, alles, was nicht das Denken ist. Und so gehen die Tage dahin. Körper und Dinge, der Schein vom Sein, das Wesen der Zeit …, davon erzähle ich.

Alfons Köhler, 2020