Reflexionen

An einem dunklen Dezembertag

Was war das, damals? / Der schwarze Fleck, damals, der den Körper in Panik versetzte, schreckhafte Nervenbahnen, die aufbegehren, sprachlos werden und verdrängen müssen, alles so abgestorben, die Erscheinung des bereits Toten …

es müssen viele Herzen gewesen sein, die getroffen wurden, Ereignisse, die bis heute eingeschlossen im Körper sprechen, überall, auch jetzt, schau hin …

wo bin ich da hingeraten, ich kenne mich nicht mehr aus, ich habe mich offensichtlich verlaufen, ein Bild des Erbarmens, keine Ruhe, um die Fassung wiederzufinden, alles ist so schnell und ich frage mich, was ich hier tue und was das hier soll, was ich sehe und höre und was da ununterbrochen rollt …

es sind viele kleine anonyme Kästen, wer da drinnen sitzt, ist nicht zu erkennen, das Regenwasser spritzt, ich gehe einen Schritt zurück, jetzt noch einen, weiter geht es nicht, ich stehe an der Mauer, auch die Mauer wird vollgespritzt und während es spritzt, frage ich mich, was da geschieht, wo wollen die alle hin, normal ist das nicht …

wer denkt sich das aus? Die Zivilisation? (was ist das genau?) / : ein Totentanz, der da rollt und stinkt und kracht und böse Blicke macht; mach schnell (sag ich mir selbst), ich renne, jetzt bin ich gleich drüben, nass bis zur Hüfte …

so geht es dahin, immer weiter in die Einbahnstraße hinein, es ist schon ganz eng, jetzt wird es noch enger, enger & enger … / /

wer kann, der spritzt; so war es schon immer (so viel Spritzer & Spritzerinnen!) – bewusst ist das nicht.

2020


Nietzsche : Denker : Mensch

Friedrich Nietzsche war ein großer Lehrer. Er führt uns das Leben in Form des Da-Seins vor Augen. Er zeigt uns durch seine konsequente Haltung als Mensch, was Hineingehen, Hindurchgehen und Ankommen bedeutet. Er zeigt uns als ein von der Psyche geleiteter Denker die Ebene des Da-Seins im Da-Sein (Da-Seins-Bewältigung) und die Ebene des Seins (der Transformation hinter dem Da-Sein). Seine Da-Seins-Bewältigung als Denker ist voll des Grauens, der Negativität und Scham, ein Alleinstellungsmerkmal der menschlichen Art, die er zu überwinden versuchte.

Große Denkgebäude entwickelt er, Sprachvirtuosität, denkerische Rhythmen und Kunststücke, unterlegt mit einer kaum für möglich gehaltenen Emotionalität, die nur an einer Stelle leuchtet, blitzt und blinkt und sagt: nicht weiter, nicht weiter hinunter in den Körper. Denken erlaubt – Körper verboten. Nietzsche, in aller Munde: ein außerordentlicher Mensch? Ja! Ein Führer, ein Lehrer, ein Mensch, der sich ins Grauen denkt, ins Leiden, ins Ausgeliefert-Sein hinein. Es ist der Denker: Mensch, der sich vom Denken (seinem Ich) führen lässt – und weiß es nicht. Es ist der Denker: Mensch, der sich vom Denken (seinem Ich) in die höchste Lust tragen lässt – und weiß es nicht.

Er, Friedrich Nietzsche, kannte seinen Körper nicht. Die Zeit, die Jugend, Ideologie, Verführung, Verbot: der Körper – ein Teufelswerk –, die Defizite mussten denkerisch gelöst werden. Er wollte hineingehen (Philosophie, Sils-Maria), hindurchgehen (Mutter, Schwester, Wurstbrote, Wollsocken …, Umwertung aller Werte) und ankommen (Vorsokratiker und Zarathustra) …, er wollte sich selbst erfahren – und erfuhr sich als ‚Denker‘. Er stärkte den Denker, nicht den Körper. Den Körper, seinen Körper, hat er schon früh (man könnte sagen, von Anfang an), nur gedacht, und so verkümmerte er, wurde krank! Körper versus Denken zehrte ihn aus. Spricht man von Friedrich Nietzsche, sieht man sofort den Kopf mit dem gewaltigen Schnauzer, etwas anderes kennt man nicht.

Erst der totale Zusammenbruch öffnet ihm den Weg in die Dimension, die nicht mehr gedacht wird, gedacht werden kann, in die Dimension des Seins. Jetzt löst sich der Widerspruch des ‚Denkers‘, sein Ich-Gebäude: Körper versus Denken, auf. Erlösung durchströmt den Geist. Weit entfernt lauscht er jetzt seiner Schwester (keinem Wahn), hört die Mutter (fühlt keine Scham), vereint und wahr. Das Glück ‚Weib‘, das ihm der ‚Denker‘ versprochen hatte und das nicht kam, kam im Nichts, jetzt, tiefe Stille, angekommen im Sein. Das Da-Sein zeigt sich nicht als Gegensatz zum Sein. Das Da-Sein ist nicht der ‚Denker‘ allein, es besteht vor allem aus Körper, Körper-Bewusstsein, Körper-Sein. Der Körper führt (nicht der ‚Denker‘, das konditionierte Ich, das nur ein Teilchen ist) …, spielt…, leert sich …, ist, was er ist, bewusst.

Alfons Köhler, Oktober 2020


Sein des Scheins

Alles, was im Sein des Scheins existiert, zeigt sich als etwas individuell Wahrgenommenes, Gedachtes und Empfundenes (…), es atmet, trinkt und isst, gibt und nimmt. Aus dem ‚Ganzheitskörper‘ geworfen (so könnte es sein), fällt es auf sich selbst. Es beginnt unausweichlich der Zwang der Einbringung; nichts ist gesichert, schicksalhaft geht es in die Zeit. Geburt und Tod scheinen konkret. Was davor und danach geschieht, scheint nicht mehr; es ist die Ahnung von Etwas, das unnennbar ist, befreit von Zeit. Indem es diesen Vorgang reflektiert und formuliert, schafft es Kultur und Kunst. Schambesetzt zeigt es (wenn es sich zeigt), was von der Lüge zugedeckt ist. Nur bewusste Existenzen finden eine Sprache, die die Existenz (die scheint) selbst ist. Der Künstler ist sein eigener Patient & Psychotherapeut zugleich.

Aus Niemandsland, 2019


Der Vater aller Dinge

„Der Vater aller Dinge ist der Krieg“. Gemeint ist der Kampf der Gegensätze. Wer die Philosophie sucht, findet Heraklit, der auch ‚der Dunkle‘ genannt wurde, weil er schwer verständlich schien (was nicht an ihm liegt, wie er selbst sagte, sondern an denen, die nicht verstehen); er verachtete das So-Sein der Menschen, ihr Handeln, einschließlich der Politik, so dass er gar nicht anders konnte, als das zu sagen, was auch überliefert ist: „Ich beriet mich bei mir selbst“ …, den Prozessen der Natur folgend, sie aufgreifend und formulierend … / : „Alles fließt“, kommt, geht und begegnet sich wieder; wo das Eine ist, ist das Andere ( … ).

Da, in dieser Begegnung, sah ich meinen Altar, mein Gebet, meine Phantasie, mein Spiel. Da leben die Gegensätze; es sind meine Eigenen, bewusst Erkannten …, und so lasse ich glänzen, was glänzen will, über jede Grenze hinaus.

Aus dem Gedichtband Niemandsland, 2019


Es ist keine Frage der Wahl. Es passiert!

Jede Kreatur, die geboren wird, ist in der Liebessehnsucht gefangen. Jede Geburt ist immer auch ein „Geworfensein“ (Heidegger), eine Herauslösung aus dem Ganzen in ein Teil unzähliger Teile, die sich wiederfinden und einen wollen.
Es ist der Mensch, der sich dessen bewusst werden kann (ja, muss, wenn er seine Bestimmung lebt); andere Formen, die vorgedanklichen, brauchen diese Bewusstwerdung nicht, sie sind im Ur-Bewusstsein geblieben.

Der Mensch als evolutionäres Wesen (Gehirn-Wesen), muss dieses Bewusstsein auf höherer Ebene wiedererlangen, um der Evolution gerecht zu werden. Das Gedanken- und Wahrnehmungssystem der menschlichen Art hat eine Fähigkeit entwickelt, die, soweit bekannt, einzigartig ist und als Alleinstellungsmerkmal gesehen werden kann. So hat der Mensch die Möglichkeit, sich selbst wahrzunehmen und sich über die Selbst-Wahrnehmung in eine höhere Ordnung zurückzuführen; eine Herausforderung, die ihm bisher in der Zeitrechnung (bis auf relativ wenige Ausnahmen) noch nicht gut gelungen ist, obwohl es in ihm, als evolutionäres Wesen, angelegt ist.

Löst er sich aus dem Formenhaften der Evolution, aus der Illusion der Zeit, der Vergangenheit und Zukunft, so verliert die Vorstellung von Ursache und Wirkung ihre Gültigkeit und wird durch ‚kreative Freiheit‘ ersetzt. „Sehen Sie das Netz und seine vielen Widersprüche an, Sie erschaffen und zerstören es in jedem Moment. Sie wollen Frieden, Liebe und Glück und arbeiten hart daran, Schmerz, Hass und Krieg zu erzeugen. Sie wollen ein langes Leben und essen zu viel. Sie wollen Freundschaft und beuten aus. Erkennen Sie ihr Netz, gesponnen aus diesen Widersprüchen, und beseitigen Sie sie. Wenn Sie sie durchschauen, werden sie sich auflösen … Deshalb sage ich, alles ist ohne Ursache. Sie können vielleicht herausfinden, wie etwas passiert ist, doch Sie können nicht herausfinden, warum etwas ist, wie es ist. Etwas ist, wie es ist, weil das Universum so ist, wie es ist“ (Sri Nisargadatta Maharaj) (1). Wenn das „Netz“ nicht gesehen wird, bleibt der Mensch (als Nicht-Sehender) das Experiment der großen Natur, in der Evolution eingebunden als Teil unzähliger Teile des Universums, das einen ungewissen Ausgang zu haben scheint.

Auf der Meta-Ebene könnte das heißen: Das Geboren-Werden eröffnet eine Möglichkeit, sich des höchsten, des reinen Bewusstseins und des Ganz-Seins, das in allem liegt, im Leben selbst, bewusst zu werden. Jetzt, durch das Fortschreiten der Evolution, kann das Ganz-Sein erfahren werden durch die Bewusst-Werdung des Bewusstseins; der Mensch erkennt sich als das All-Eine, von nichts getrennt, in Liebe, als die Liebe selbst. Die offensive Haltung „alles ist Liebe“ wirkt auf das gesamte körperliche Energiefeld heilend…, da es das Höchste ist: Unendlicher Friede und grenzenlose Liebe. „Verstehen Sie, dass alles, was wahr, edel und schön ist im Universum, von Ihnen kommt, Sie selbst sind die Quelle“ (Sri Nisargadatta Maharaj) (2).

Im biblischen Gleichnis vom ‚Verlorenen Sohn‘ ist die Liebe zum Wiedergewonnenen größer als zuvor. Entsprechend verhält es sich mit dem Bewusst-Werden des bereits vorhandenen‚ einen Bewusstseins‘. In der Form des menschlichen Körpers zeigt sich auf diese Art eine allumfassende, tiefe und erfüllende Liebe zu sich selbst und zu allem, was ist. Der menschliche Geist, sich seiner selbst bewusst geworden, transformiert sich ins Geistliche, erkennt in sich selbst das Heilige, die Heiligkeit der Natur.

Das Gehirn (es hat kein Bewusstsein von sich selbst und ist damit angewiesen auf die Information, mit der es gefüttert wird) greift auf das Erfahrbare, das zeitlich Geprägte (Vorleben eingeschlossen), zurück und nicht auf das Zeitlose, von dem es kein Bewusstsein haben kann. Der unbewusste Zustand des Gehirns will immer haben, möglichst alles, was es kennt, die ganze Welt, die Geschichte erzählt davon …, und so glaubt es auch zu wissen (Glauben und Hoffen ist Teil seiner Existenz), dass das persönliche Verlangen (‚Liebessehnsucht‘) nur durch und mit einem Gegenüber befriedigt und gestillt werden kann und ebenso umgekehrt, ein gegenseitiges Gebrauchen, fernab vom Selbst, das nur ‚innen‘ zu finden ist. Was sich einen (finden) will außerhalb des EINEN, entfernt sich sofort wieder. Der Wille zur Stillung kann sich damit nicht vollenden. Erst durch die Selbst-Annahme (ich bin das ‚Göttliche‘, das Sein selbst) und durch die Bejahung dessen, was ist, kann sich der Blick nach außen öffnen und zur Strahlkraft werden. Diese Ebene allerdings setzt ein bewusstes Handeln voraus, das den unbewussten Prozess, der als Scheitern und Leiden erlebt wird, berührt und nach und nach aufhebt. Die Aufhebung (ein bewusstes Einwirken auf den Zwang: wahrnehmen, fühlen und denken zu müssen), führt zur Entlastung und Heilung eines in vieler Hinsicht blockierten und überlasteten Körpers. Alles, was ist, läuft über den Körper und ist Ausdruck dessen.

Die Fähigkeit der Bewusstwerdung (sich seiner selbst gewahr sein) ist in der Evolution angelegt und kann nicht zurückgenommen werden. Die Evolution hat das menschliche Gehirn dahin entwickelt, dass das formlose Ur-Bewusste vergessen wurde, um es auf höherer Ebene wiederzufinden. So kann sich auf der Basis des ‚reinen Bewusstseins‘ ein ‚neues‘, erweitertes Bewusstsein transformieren, erfahren und entfalten. Das evolutionäre ICH kann sich als das erkennen, was es ist (ein geschichtliches Trümmerfeld). Es ist die Teile-Arbeit eines Erkenntnisprozesses, der jeden Widerstand gegen das Jetzt aufgibt und so von der Akzeptanz und Bejahung der Wirklichkeit im Jetzt leicht getragen wird.

Er (der Mensch) hat die Fähigkeit dazu, sich aus dem Status Quo (Zwang, Illusion und Traum) heraus zu entwickeln und ins Gewahrsein (der achtsamen und selbstreflektorischen, bewussten Gestaltung) hinein. Ist er sich seines Werdegangs in der Evolution bewusst, kann er sein kleines persönliches Selbstbild, das dem Ego geschuldet ist (und nur ein vorübergehendes Phänomen darstellt), auflösen, und das universelle Selbst, das Sein, zur Wirkung bringen, das ist und nicht werden muss. Das Formen-Spiel kann sich weiter transformieren und der Körper, so wie wir ihn kennen, kann seine Geschichte schließen. Es ist keine Frage der Wahl. Es passiert.

Anmerkung:
Die Zitate (1,2) wurden entnommen aus: Maurice Frydman (Hg.): ICH BIN, Gespräche mit Sri Nisargadatta Maharaj, Bombay 1973. Deutsche Ausgabe: J. Kamphausen Verlag, Bielefeld 1989, 8. Aufl. 2009

Aus Alles ist Liebe, 2018


Die Sonne spielt.

Der Himmel spielt. Die Farbe spielt. Die Erde spielt den Tag und die Nacht. Der Mensch kann es. Der Mensch will es. Wenige machen es. Ich kann nichts anderes mehr. Was ich mache, wird zum Spiel. Immer läuft alles aufs Spielen hinaus. Da bin ich zu Haus. Die Grundlage der Poesie ist das Spiel. Spiel mit mir, sagt das Wort. Spiel mit mir, sagt der Rhythmus des Worts. Spiel mit mir, sagt die Form, das Gehirn, das spielt. Der Punkt setzt das Ende von Etwas, das spielt. Das Abendlicht brennt gelb-rot-rosa-orange …, nimmt zu und nimmt ab, spielt den Untergang, der scheint und der keiner ist.

Aus dem Gedichtband Weiss Weiss, 2016


Körper

Der Mensch wird geboren, schau hin, schau, wie er daliegt, ganz klein, ganz hilflos, zart … und weint. Und er hört auf zu weinen, wenn du ihm die Brust gibst, die warme, volle Brust, so lange es möglich ist. Du legst ihm etwas rein, das nicht tiefer sein kann, die unendliche Energie, ein Spiel, das mit jeder Zeit und zu jeder Zeit spielen kann.

So wie der Widerstand, die un-gespielte Empfindung der Seele, Ausdruck des Körpers ist, so ist die Bejahung, ihre Wärme, die gespielte Empfindung der Seele, Ausdruck des Körpers. Immer ist es der Körper, in dem alles zusammenläuft, angefüllt und geleert wird, empfängt ( … ), also ‚wahr‘ ist, so lange er da ist. Bringe ihn zur höchsten Blüte, so lange es möglich ist, egal wie und was er ist, er ist die Form im Hier und Jetzt, die Seele wohnt darin, die Seele, die du selber bist; umarmst du sie, umarmst du dich / : das Leben selbst! So hast du alles getan, was du tun kannst. Mehr geht nicht.

1978